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Interview mit Andrea Wirsching - Weinbau als Heimat und "schönster Beruf der welt"

Andrea Wirsching:

Geschäftsführerin des Weinguts Wirsching in Iphofen, Tochter des Seniorchefs Dr. Heinrich Wirsching, studierte Historikerin und Weinfachfrau, Winzerin des Jahres 2018 (Genussmagazin selection) und, besonders wichtig für uns, eine der ersten Frauen unter den Mitgliedern der Weinbruderschaft Franken.

1. Welche Gedanken verbinden Sie mit dem Wiedereinstieg ins Weingut Ihrer Familie?

In meinem Leben gab es viele „Einstiege“ in das Weingut. Warum ich am Ende erst mit 46 zurückkehrte, hatte etwas mit der Dynamik von Familienbetrieben zu tun. Es hat vorher einfach nicht gepasst. Eine echte berufliche Alternative zum Wein gab es in meinem Leben allerdings nie. Ich hätte wohl als Historikerin arbeiten können, aber diese Welt war nicht meine.

2. Wie lautet in Kurzfassung die Geschichte des inzwischen fast 400 Jahre alten Weinguts Wirsching?

Oft führe ich Gäste durch unseren Keller und erzähle ich ihnen die Geschichte unserer Landschaft, unserer Kultur und meiner Vorfahren. Da spüre ich immer, was für ein Geschenk es ist, in diese Generationenfolge eingebunden zu sein. Jeder meine Ahnen hatte die Chance, in diesem schönsten Beruf der Welt sein Leben zu gestalten. Jede Zeit hatte ihre eigenen Herausforderungen und oft war es gar nicht sicher, ob man es überhaupt schaffen würde. Unbekannte Pilzkrankheiten und Schädlinge gefährdeten den Weinbau, aber auch Kriege oder Verwerfungen in den Märkten.

Es gab Vorfahren, die packten ihre Chancen an und machten etwas daraus, andere zögerten und zweifelten. Wenn ich in den frühen Morgenstunden mit dem Hund durch die Reben laufe und mir auf eine Art die gleichen Fragen stelle, die sich schon mein Ururgroßvater gestellt hat, weiß ich – ich möchte an keinem anderen Ort der Welt sein.



3. Unter welchem Leitgedanken lässt sich Ihr Verständnis vom Weinbau zusammenfassen?

Mit einem ausgeglichenen Maß an Tradition und Moderne erreichen wir unser Ziel: die gesunde Traube. Weinbau ist eine Jahrtausende alte Kultur, in der der Mensch in und mit der Natur arbeitet und natürliche Prozesse steuert. Diese Abhängigkeit von der Natur erfordert ein hohes Maß an Sensibilität und Achtung vor der Schöpfung. Moderne Technik gibt uns die Möglichkeit, die notwendigen Arbeiten nachhaltig zu gestalten, z.B. indem wir Unkraut unter den Reben mechanisch entfernen und nicht chemisch.

4. Welche charakteristische Terroir prägt die Iphöfer Weine?

Die Iphöfer Weine wachsen auf Sediment, das sich im Brackwasser der Dinosaurier-Zeit abgelagert hat. Dieser sog. Keuper wird durchzogen von Gipsadern, die entstanden sind, als eingetrocknetes Salzwasser später unter hohem Druck von darüber liegenden Gesteinsschichten zu Gips gepresst wurde. Der Gipsanteil erhöht den ph-Wert und führt zu milden, säurearmen Weinen. Die üppige Vegetation dieser Zeit gibt dem Keuper seine hohe Mineralität, seine Geschmacksfülle und eine gewisse Kräutrigkeit. Dies unterscheidet Keuperweine deutlich von Buntsandstein oder Muschelkalk.

5. Wie wirkt sich der Klimawandel auf Ihr Weingut aus und mit welchen Maßnahmen reagieren Sie darauf?

Der Klimawandel stellt für eine Branche, die in Zyklen von 40 Jahren denkt, eine große Herausforderung dar. Die Frage, welche Rebsorten langfristig mit dem Klima zurechtkommen und auch vermarktet werden können, ist dabei existentiell. Werden wir Burgund, Rhone oder Sizilien? Sicher ist – der Silvaner bleibt, denn er kommt auch mit extremem Klima bestens zurecht. In der täglichen Arbeit tun wir alles, um den Klimastress für die Reben so gering wie möglich zu halten. Beispielsweise fahren wir die Erträge herunter und kümmern uns bei Jungpflanzen um eine Tröpfchenbewässerung, damit sie überhaupt „Fuß fassen“ können.

6. Wie bändigen Sie die steigenden Alkoholwerte, die sich infolge immer wärmerer Sommer und damit höherer Öchslegrade bilden?

Steigende Alkoholwerte bändigen wir im Weinberg. Wenn man das Bild der Photovoltaik nimmt, ist jedes Blatt eine kleine Zelle. Wir müssen diese Zellen reduzieren, um nicht zu viel Zucker in den Trauben anzureichern, denn die entscheidende Größe ist der Zucker, der zu Alkohol vergoren wird. Einfach nur früher ernten halten wir für zu kurz gesprungen, denn viele Faktoren müssen in einer Traube ausreifen (physiologische Reife), damit es ein guter Wein mit einer langen Zukunft wird.

7. Wie steht das Weingut Wirsching zu neuen Trends im Weinausbau wie Betonei, Granitfass oder Orange-Wein?

Die meisten der neuen Trends im Ausbau, z.B. der Orange Wine oder das Granitfass dienen zu allererst der Vermarktung. Nur die Ersten profilieren sich damit. Wir sind zwar immer offen und experimentieren auch, nehmen solche Weine aber lieber als Verschnittpartner in Mikro-Cuvées. Ansonsten sind wir der Überzeugung, dass wir in Franken ein starkes Weinprofil haben, das wir konstant und konsequent kommunizieren wollen: Trockene Silvaner aus dem Bocksbeutel.

8. Welche Rolle spielt der Export für Ihre Weingut, das größte Frankens in privater Hand?

Der Export war für uns immer Luxus, nie ein Muss. Wir konnten unsere Weine im Prinzip in einem Umkreis von 200 km verkaufen. Jetzt ändert sich die Situation, denn weltweit wird immer mehr Wein produziert und immer weniger konsumiert. Die demographische Entwicklung in Deutschland zeigt schon heute, dass in 20 Jahren eine völlig andere Vermarktungssituation herrschen wird. Daher müssen wir uns mehrere Standbeine schaffen, wenn wir nicht in die Billig-Falle geraten wollen. Abgesehen davon gibt es auch Märkte, die offen sind für den Stil des Frankenweins, wie Skandinavien und USA. Wenn wir in diesen Märkten Fuß fassen wollen, müssen wir alle an einem Strang ziehen, denn dort zählt nicht das Image des Einzelnen, sondern das der Region. Ich bin froh, dass wir mit „Silvanerheimat“ und dem Alleinstellungsmerkmal „Bocksbeutel“ die richtigen Stichworte haben, um uns im Ausland als starke Gemeinschaft zu präsentieren. Ich hoffe, diese Chance wird genutzt.

9. Vor welchen Herausforderungen – außer den schon genannten – sehen Sie den Frankenwein in den nächsten Jahren gestellt?

Die Haupt-Aufgabe für den Frankenwein sehe ich vor allem im Bereich der Vermarktung. Die weltweite Konkurrenz und der Kostendruck sind enorm. Was Trockenheit und Hitze betrifft, so hoffe ich immer noch, dass die Politik uns nicht im Stich lässt. Wir brauchen Unterstützung für Bewässerungsprojekte. Das Wasser ist ja in Süddeutschland vorhanden, es muss nur eben klug gemanagt und verteilt werden.

10. Welchen Beitrag kann in Ihren Augen die Weinbruderschaft zur Pflege der Weinkultur in Franken leisten?

Im Moment erleben wir einen rasanten Wandel unserer Lebensbedingungen. Das subjektive Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben, hat auch immer mit dem Bewusstsein der eigenen kulturellen Wurzeln zu tun. Wein gehört zu unserer fränkischen Identität. Daher leistet die Weinbruderschaft einen wertvollen Dienst an der Gemeinschaft, wenn sie diese Kultur vermittelt. Zur Zeit wollen sich demokratiefeindliche Gruppen Begriffe wie „Heimat“ aneignen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir dieses kostbare Gut, zu dem auch der Wein gehört, pflegen.

Aktuelle nationale und internationale Prämierungen des Weinguts Wirsching

- Bayerischer Staatsehrenpreis 2019 für das Weingut Hans Wirsching

- Top 100 of 2019

- Wine Spectator: 2017 Iphöfer Kronsberg Riesling Alte Reben trocken

Gold (96 Punkte)

- Decanter World Wine Awards 2019:

2016 Iphöfer Julius-Echter-Berg Silvaner Großes Gewächs trocken (05/2019)

- Silvaner-Weingut des Jahres 2020 – Genussmagazin selection




Das Gespräch führte Dr. Dieter Weber, langjähriger Bruderschaftsmeister der Weinbruderschaft Franken und Autor bzw. Herausgeber zahlreicher Bücher/ Publikationen zum Thema Weinkultur (vgl. Krimm/Weber: Weinreise durch Franken, Würzburg 2013, Dies.: Goethe, Der Wein und die Faustdichtung, Würzburg 1999; Der Wein im Herbst des Mittelalters u.v.m.

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