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Wein und Religion - ein interkultureller Vergleich

Live, digital und virtuell: Die Weinbruderschaft Franken wandelt auf innovativen Vortragswegen



Text: Dr. Martin Sachse-Weinert


Coronabedingt können derzeit überall kaum noch Tagungen und Veranstaltungen in Präsenz stattfinden. Zugleich steigt das Bedürfnis nach persönlichen Kon-takten, nach gemeinsamen Treffen – kein Wunder also, dass auch der Vortrag „Wein und Religion – ein inter-kultureller Vergleich“ auf ein neues Format ausweichen musste, um die Veranstaltungsreihe der Weinbruder-schaft Franken fortsetzen bzw. wieder­aufnehmen zu können.

So traf man sich denn – mit den vorab zugesandten Weinen des Weinguts König aus Randersacker im Glas – abends vor dem Bildschirm, um die bereits lange zuvor geplante Präsentation zu einem Thema, das den Rebensaft zu religiösen Schriften und Erfahrungen in Verbindung setzt, genießen zu können.

Als Grundlage des Vortrags dienten dabei vor allem Hinweise auf „Wein“ in Texten altorientalischer Provenienz. In buddhistischen und hinduistischen Zitaten fehlt häufig eine entsprechende Benennung, es finden sich stattdessen generalisierende Angaben wie „Alkohol“ oder „Branntwein“.


1 Wein im Christentum

Im „Buch der Bücher“ können wir insgesamt 173 Belegstellen finden, davon 134 Zitate im Alten Testament, 21 Erwähnungen in den Apokryphen und 18 Nennun-gen im Neuen Testament. Ob sich aus dieser statistischen Auswertung folgern lässt, dass im Verlauf der Zeit immer weniger Wein konsumiert wurde, kann hier nicht geklärt werden. „Wein“ steht damit jedenfalls an 298. Stelle der häufigsten Wörter im Alten Testament. Damit übertrifft es andere bedeutsame Wörter wie „Licht“ und „Kraft“ zahlenmäßig bei Weitem, ja sogar einen so zentralen Begriff wie „Gerechtigkeit“. Hintergründe zu bekannten Flaschengrößen konnten aller-dings bislang nicht geklärt werden:

Alttestamentliche Namen als Flaschengrößen­bezeichnung. Graphik: privat.


Relativ einfach festzustellen ist, dass die erste Erwähnung des Rebensaftes im Buch Genesis erfolgt: „Noach wurde der erste Ackerbauer und pflanzte einen Weinberg.“ Damit ist Noah zugleich der weltweit erste Winzer, da er unmittelbar nach der Sintflut Reben anpflanzte. Dieser Vorgang dokumentiert die Bedeutung von Wein in der christlichen Tradition beispielhaft, mag aber ganz praktische Gründe haben: Weinreben brachten schon nach drei Jahren Erträge, während der Olivenanbau sich erst nach sieben Jahren rechnete.

Der Prophet Jesaja liegt mit immerhin 14 Erwähnungen rein zahlenmäßig an der Spitze. Insgesamt finden sich sowohl Warnungen (Prophet Hosea: „Wein und Most rauben den Verstand.“) als auch positive Empfehlungen bei einem – in der damaligen Zeit und Region verbreiteten – regelmäßigen, aber mäßigen Genuss: Wein sei gut und erfreue das Herz. Die Relevanz des Rebensaftes für theologische Deduktionen finden wir beispielsweise im bekannten „Gleichnis der Arbeiter im Weinberg“ dokumentiert.

In der Folge wurde auch auf Belege in der Sekundärliteratur eingegangen. So schreibt Pontius Pilatus an den römischen Senator Pomponius Flaccus: „In Kanaa erzählte mir einer der Hochzeitsgäste, der bei dem viel erörterten Weinwunder zugegen war, damals seien alle volltrunken gewesen: ‚Wir hätten nicht einmal die Braut von einem Maultier unterscheiden können, geschweige denn Wasser von Wein.‘“

Aufklärung scheint vonnöten im Hinblick auf den Spruch „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang.“, der nicht Martin Luther zuzuschreiben ist. Das Zitat wurde erst 1775 im „Wandsbecker Boten“ von Mat-thias Claudius veröffentlicht und darf mithin als eines der berühmtesten apo-kryphen Luther-Zitate gelten.


2 Das Judentum und der Wein

Die ersten Hinweise auf Wein im Talmud findet man im 6. Kapitel des Mischnah Berachot, wo der Rebensaft gleich mehrfach erwähnt wird, beispielsweise in Vers 5: „Hat man über den Wein vor der Mahlzeit den Segen gesprochen, so befreit man dadurch den Wein nach der Mahlzeit.“ Auch die jüdische Torah thematisiert den Rebensaft. So heißt es in 1. Mosche 9, 20-24: „Und Noach fing an ein Bauer zu werden und pflanzte einen Weinberg. Und er trank von dem Weine und wurde trunken, und er entblößte sich in seinem Zelte. Und Cham, der Vater Kanaans, sah die Blöße seines Vaters und berichtete es seinen beiden Brüdern draußen.“ Die darauf folgende Verfluchung Chams hat einen ganz konkreten, politisch motivier-ten Hintergrund: Denn Noahs Söhne stehen für die mesopotamische bzw. syri-sche Welt (Sem), für Kleinasien bzw. die griechische Welt (Japhet) sowie für den afrikanischen Raum und Kanaan (Ham). Letztere Region aber umfasst Palästina, dessen Wurzeln damit verdammt werden – Grund für die Überlegenheit Israels. Dem entspricht, dass sich Israel als Jahwes Weinberg versteht – mithin eine auch heute noch politisch bedeutsame Begründung für die Auserwähltheit des jüdi-schen Volkes.

Überhaupt sind (Wein-)Trauben von existenzieller Bedeutung in Bezug auf die Differenzierung zwischen Gut und Böse: Im babylonischen Talmud findet sich der Hinweis, die Vertreibung aus dem Paradies sei nicht auf den Verzehr eines Apfels, sondern auf den Genuss von Trauben zurückzuführen.


3 Kein Wein im Islam?

In der Frühzeit des Islam wurde der Weingenuss noch nicht verurteilt. Dattel-, Trauben-, Honigwein sowie alkoholische Getränke aus Weizen, Gerste und Hirse waren in frühislamischer Zeit im gesamten arabischen Raum bekannt, Wein-schenken wurden gerne besucht.

In einem frühen Text benennt der Koran denn auch die „Weinstöcke“ als Schöp-fung Gottes: „Er ist es, der aus den Wolken Wasser hernieder kommen lässt [...] Damit lässt er das Getreide wachsen, und die Ölbäume, Dattelpalmen und Wein-stöcke.“ Den Gläubigen werden im Paradies nicht nur Früchte und Fleisch ver-sprochen, sondern auch „Ströme von Wasser, Milch, Wein und Honig“. Koranerläu-terungen heben allerdings hervor, dass der Wein des Paradieses nicht trunken machen könne. Später verurteilt der Koran ein Übermaß an berauschendem Getränk, bedingt wohl dadurch, dass die Prophetengefährten Trinkgelage abhiel-ten und ihnen anschließend Fehler im rituellen Gebet unterliefen.

Als Gewährsmann für die Darstellung von Wein in der islamischen Belletristik mag uns der persische Autor Hafes gelten, der um 1320 geboren wurde. Von ihm kennen wir viele Gedichte, die den Weingenuss thematisieren: „Gestern zechend, traumverloren, / hörte ich es pochen leis: / Klopfend an der Schenke Toren / stan-den Engel still im Kreis. / Unsers Vaters Adam Asche / taten sie in den Pokal, / Ihr vermählend aus der Flasche / edlen Weines Purpurstrahl. / …“

Von besonderem Interesse ist nicht nur die freudvolle Erkenntnis, dass Engel Wein ausschenken. Interessant ist in Bezug auf die Engel oder sog. huris auch die neuere Forschung. Demnach wurden bei der Übertragung des Korans aus dem Arabischen diverse Begriffe falsch gedeutet: Nicht „Jungfrauen“ warten demnach im Paradies auf uns, sondern „weiße, kristallklare Trauben“.


4 Kaum Wein im Hinduismus und Buddhismus

Den Wein in seiner gekelterten Form finden wir in einem Kanon der hinduisti-schen Literatur. Hier heißt es zwar, dass Brahma und Krishna den Wein aufgrund seiner nachteiligen Effekte verdammt hätten. Allerdings gibt es Elemente der esoterischen Tantra-Tradition, die den Weingenuss gestatten. Dabei ist auch eine leichte Form der Berauschtheit erlaubt, da diese den Gläubigen näher zu Gott bringt – ebenso wie der Gebrauch von „Bhang“ (Cannabis).

Für den Buddhismus sei beispielhaft auf das Hauptregelwerk der buddhistischen Mönche verwiesen. Hier existiert ein Kodex, der dem der 10 Gebote vergleichbar ist. Er verbietet u. a. das Töten, die Unkeuschheit und das Trinken von Bier oder Wein bzw. Alkohol, die eine Grundlage für Rausch und Unachtsamkeit seien.


5 Weinheilige, nicht Scheinheilige

Auch Heilige gründen ihre Bekanntheit manchmal auf Wein. So wurde der Le-gende nach der Heilige Theonest, der um 420 Bischof von Mainz war, aufgrund seines Glaubens gefoltert und im Anschluss in einem Kufen mit gärenden Trau-ben im Rhein ausgesetzt. Theonest gelobte, an der Stelle, wo sein Kufen ange-schwemmt werde, Wein anzubauen. Und da der Kufen auf Lateinisch „cuba“ heißt, entwickelte sich daraus der heutige Ortsname „Kaub“.

Der Heilige Urban verdankt seinen Titel als Schutzpatron der Winzer wohl seinem – historisch nicht belegbaren – Dekret, für das Abendmahl dürfe nur ein garan-tiert reiner Wein aus silbernen Kelchen getrunken werden. Allerdings wird er, bekannt als Papst Urban I., hier mit Urban von Langres verwechselt, der sich vor seinen Verfolgern erfolgreich hinter einem Weinstock verbarg.

Schließlich ist der Apostel Johannes zu nennen. Er bekehrte einen Heiden, indem er einen Giftbecher leerte wie einen Schoppen Wein – ohne Schaden zu nehmen. So ist denn auch der Johannisberg im Rheingau eine der besten Weinlagen der Gegend. Heinrich Heine merkt dazu an: „Mon Dieu, wenn ich doch so viel Glauben in mir hätte, dass ich Berge versetzen könnte: Der Johannisberg wäre just derje-nige Berg, den ich mir überall nachkommen ließe.“ Eine Tradition allerdings im Zusammenhang mit Johanniswein verbot die katholische Kirche im Lauf der Zeit: Üblich nämlich war es, dass in den Weindörfern das Trauergefolge mit dem Sarg vor jedem Hause hielt, um einen Becher zu leeren – mit entsprechenden Folgen bei der Ankunft am Friedhof.





6 Abgang

Was bleibt als Erkenntnis? Wein ist von essenzieller Bedeutung – nicht nur vor allem in der christlichen Religion, sondern auch, um in schwierigen Zeiten Ge-meinschaft zu stiften – und wenn dies nur im Rahmen einer Videokonferenz ist…



Literatur


Kreglinger, Gisela (2019): Wein ist ein Gottesgeschenk. Würzburg: Echter.

Sachse-Weinert, Martin (2010): In vino varietas – Wein in der Literatur. Norderstedt: BoD (hier v. a. Kapitel 3 „Sancta (di)vina – Wein und Religion“, S. 99-121).

Sachse-Weinert, Martin (2015): Wein und Religion. Ein interkultureller Vergleich. In: Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens. Aspekte des Kulturguts Wein, hrsg. von Heinz Decker u. a.. Mainz: Nünnerich & Asmus, S. 90-103.

Slapansky, Wolfgang (2009): Das Wunder Wein. Kult – Fest – Ritual. Residenz, St. Pölten, 2009.

Zwickel, Wolfgang (2012): Wein und Bibel. In: Kulturgut Rebe und Wein, hrsg. von Helmut König und Heinz Decker. Heidelberg: Springer, S. 47-61.

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